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Pressemitteilung vom 01.12.2015
Datum: 01.12.2015
Kurzbeschreibung: Remchingen: Gemeinde muss weitere Vollzugsmaßnahmen zum geplanten Rathausneubau nicht zur Sicherung eines gegen den Neubau gerichteten Bürgerantrages unterlassen
Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hat es mit Beschluss vom 27.11.2015 abgelehnt, Vertrauensleuten der Bürgerinitiative „Die Remchinger Bürgerschaft“, welche sich gegen den geplanten Neubau eines Rathauses in der Neuen Ortsmitte engagiert, einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang mit einem von ihnen gestellten Bürgerantrag zu gewähren.
Der Remchinger Gemeinderat hatte in öffentlicher Sitzung am 23.01.2014 im Grundsatz beschlossen, im Ortsteil Wilferdingen auf dem Gelände zwischen Kulturhalle, Altenpflegeheim und B10 einen Rathausneubau zu realisieren. Die Kosten wurden zu diesem Zeitpunkt auf 8.010.000 EUR geschätzt. Am 06.05.2015 stellten die Vertrauensleute der Bürgerinitiative bei der Gemeinde einen Bürgerantrag nach § 20b Gemeindeordnung mit dem Ziel, der Gemeinderat möge über den Neubau eines Verwaltungszentrums „im Hinblick auf die heutigen Bau- und Folgekosten der Maßnahme und deren Finanzierbarkeit im Rahmen der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde“ (erneut) beschließen. Zur Begründung machten sie im Wesentlichen geltend, die tatsächlichen Kosten für den Neubau und die damit verbundenen Maßnahmen beliefen sich auf 14 bis 17 Mio. EUR. Eine Gesamtsanierung der alten Rathäuser sei wesentlich wirtschaftlicher, auch stünden in der Gemeinde deutlich dringendere und wichtigere Investitionsmaßnahmen an, die bei einem Rathausneubau aber nicht ohne hohe Verschuldung finanzierbar wären.
In seiner Sitzung am 25.06.2015 hat der Gemeinderat den Bürgerantrag als unzulässig abgewiesen. Hiergegen haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt. Zusätzlich haben sie am 24.08.2015 beim Verwaltungsgericht beantragt, der Gemeinde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu untersagen, vor Abschluss des gegen die Zurückweisung des Bürgerantrages eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahrens „weitere verbindliche Vereinbarungen zur Realisierung des Verwaltungszentrums einzugehen“. Dieser Antrag blieb nunmehr ohne Erfolg. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, ein nach den Vorschriften des § 20b GemO zulässiger Bürgerantrag bewirke lediglich, dass der Gemeinderat oder der zuständige beschließende Ausschuss die Angelegenheit, auf die sich der Bürgerantrag beziehe, innerhalb einer Frist von drei Monaten - ab Eingang des Antrages - behandeln und hierbei ggf. die Vertreter des Bürgerantrages anhören müsse. Der Bürgerschaft würden hierdurch gewisse Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet, ein zulässiger Bürgerantrag verlagere aber nicht die Entscheidungskompetenz des Gemeinderates auf die Bürgerschaft. Folge eines zulässigen Bürgerantrages könne daher - im Rahmen eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens - nicht sein, dass die Bürgerschaft verbindlich das Abstandnehmen von einem Projekt beschließe. Dies wiederum habe zur Folge, dass auch ein nur vorläufiges Abstandnehmen von einem Projekt - zur Sicherung der Mitwirkungsrechte der Bürgerschaft - nicht Gegenstand eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sein könne.
Zwar halte die Rechtsprechung in Baden-Württemberg einen solchen Sicherungsanspruch im Rahmen eines Bürgerbegehrens bzw. eines Bürgerentscheides (§ 21 Gemeindeordnung ) unter sehr hohen Voraussetzungen für möglich. Maßgeblich hierfür sei aber, dass die Bürgerschaft bei einem Bürgerentscheid/Bürgerbegehren direkt-demokratisch und verbindlich über eine bestimmte Angelegenheit entscheide. In diesem Fall müssten die Gemeindeorgane die Entscheidungskompetenz der Bürgerschaft respektieren und dürften - unter dem Aspekt der Treuwidrigkeit des Verhaltens - nichts unternehmen, was dem Bürgerentscheid/Bürgerbegehren nach § 21 Gemeindeordnung die Grundlage entziehe und die Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege verhindere. Auf den Bürgerantrag nach § 20b Gemeindeordnung seien diese Grundsätze aber nicht übertragbar, weil der Gemeinderat hier weiterhin die Entscheidungskompetenz habe. Daher könne auch die Umsetzung früherer Gemeinderatsbeschlüsse - hier des Grundsatzbeschlusses vom 23.01.2014 - kein treuwidriges Verhalten gegenüber der (im Falle eines Bürgerbegehrens gar nicht bestehenden) Entscheidungskompetenz der Bürgerschaft darstellen. Hieran ändere auch die theoretische Möglichkeit nichts, dass der Gemeinderat die Argumente des Bürgerantrages aufgreife und letztlich einen Beschluss in diesem Sinne fälle. Jedenfalls im vorliegenden Fall bestehe daher auch kein sicherbares Recht der Vertreter eines Bürgerantrages auf Unterlassen von Vollzugsmaßnahmen der Gemeinde.
Der Beschluss vom 27.11.2015 (9 K 4028/15) ist nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegen.
Hinweis:
§ 20b Gemeindeordnung in der für den Rechtsstreit maßgeblichen Fassung lautet:
(1) Die Bürgerschaft kann beantragen, dass der Gemeinderat eine bestimmte Angelegenheit behandelt (Bürgerantrag). Ein Bürgerantrag darf nur Angelegenheiten des Wirkungskreises der Gemeinde zum Gegenstand haben, für die der Gemeinderat zuständig ist und in denen innerhalb des letzten Jahres nicht bereits ein Bürgerantrag gestellt worden ist. Ein Bürgerantrag ist in den in § 21 Absatz 2 genannten Angelegenheiten ausgeschlossen; das Gleiche gilt bei Angelegenheiten, über die der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss nach Durchführung eines gesetzlich bestimmten Beteiligungs- oder Anhörungsverfahrens beschlossen hat.
(2) Der Bürgerantrag muss schriftlich eingereicht werden; richtet er sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats oder eines beschließenden Ausschusses, muss er innerhalb von zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein. §3a LVwVfG findet keine Anwendung. Der Bürgerantrag muss hinreichend bestimmt sein und eine Begründung enthalten. Er muss mindestens von 30 vom Hundert der nach § 21 Abs. 3 Satz 5 erforderlichen Anzahl von Bürgern unterzeichnet sein; das Nähere wird durch das Kommunalwahlgesetz geregelt.
(3) Über die Zulässigkeit des Bürgerantrags entscheidet der Gemeinderat. Ist der Bürgerantrag zulässig, hat der Gemeinderat oder der zuständige beschließende Ausschuss innerhalb von drei Monaten nach seinem Eingang die Angelegenheit zu behandeln; er soll hierbei die Vertrauenspersonen des Bürgerantrags hören.
(4) Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend in einer Ortschaft für eine Behandlung im Ortschaftsrat. Für die erforderliche Zahl der Unterschriften ist in diesem Fall die Zahl der in der Ortschaft wohnenden Bürger und Einwohner maßgebend. Über die Zulässigkeit des Bürgerantrags entscheidet der Ortschaftsrat. Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Gemeindebezirke in Gemeinden mit Bezirksverfassung.