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Pressemitteilung vom 21.11.2022
Datum: 21.11.2022
Kurzbeschreibung: Abschiebung eines Ausländers mit absehbarem „Chancen-Aufenthaltsrecht“ rechtswidrig
Mit Beschluss vom 18.11.2022 hat die 19. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe die geplante Abschiebung eines Gambiers gestoppt.
Hintergrund des Verfahrens ist das sich derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche einjährige „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das es langjährig geduldeten Ausländern ermöglichen soll, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen.
Der Asylantrag des Antragstellers war bereits im Jahr 2017 abgelehnt, die hiergegen gerichtete Klage im Jahr 2019 abgewiesen worden. Weil er 2016 und 2017 jeweils wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu Geldstrafen verurteilt worden war, hatte das Landratsamt Karlsruhe 2019 die Ausweisung des Antragstellers sowie ein auf drei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot verfügt. Die Eintragungen seiner strafrechtlichen Verurteilungen im Bundeszentralregister sind mittlerweile getilgt. Ein erster Versuch des Regierungspräsidiums Karlsruhe, den Antragsteller am 25.10.2022 nach Gambia abzuschieben, war gescheitert. Seit dem 26.10.2022 befand er sich in Abschiebehaft.
Gegen die kurzfristig geplante Abschiebung machte der Antragsteller geltend, er halte sich seit mehr als fünf Jahren mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung im Bundesgebiet auf und werde deshalb unter das geplante „Chancen-Aufenthaltsrecht“ fallen. Die Landesregierung Baden-Württemberg habe am 11.10.2022 mitgeteilt, dass Menschen, die nach den neuen Regeln des Bundes voraussichtlich eine Bleibeperspektive in Deutschland hätten, ab sofort nicht mehr abgeschoben würden. Da seine Straftaten mittlerweile getilgt seien, bestehe kein Bedürfnis mehr für eine Ausweisung. Dies stehe seiner Abschiebung entgegen.
Das Regierungspräsidiums Karlsruhe erklärte auf Anfrage des Gerichts, dass es in Baden-Württemberg – anders als in anderen Bundesländern – keinen schriftlichen sogenannten „Vorgriffserlass“ – also die Zurückstellung von Abschiebungen für Geduldete, die voraussichtlich für die Erteilung des sogenannten „Chancen-Aufenthaltsrechts“ in Betracht kämen – gebe. Jedoch sei das Regierungspräsidium vom Ministerium mündlich angewiesen worden, die in Frage kommenden Begünstigten hinsichtlich ihrer Abschiebung zurückzustellen. Der Antragsteller gehöre jedoch nicht zum Kreis der Begünstigten, da ihm aufgrund des mit der Ausweisung verfügten, mittlerweile bestandskräftigen Einreise- und Aufenthaltsverbotes kein Aufenthaltstitel erteilt werden dürfe.
Dieser Argumentation des Regierungspräsidiums ist die 19. Kammer im den Beteiligten bereits übermittelten Beschluss – 19 K 3710/22 – nicht gefolgt. Durch die Anweisung des Ministeriums werde das Ermessen des Regierungspräsidiums bei der Durchführung von Abschiebungen dahingehend gelenkt, dass die absehbar Begünstigten des „Chancen-Aufenthaltsrechts“ derzeit nicht abgeschoben werden sollen. Der Gesetzentwurf stelle nicht nur auf die Lebensplanung der langjährig in Deutschland lebenden Menschen ab, sondern nehme auch die Erforderlichkeit von Einwanderung für den deutschen Arbeitsmarkt und damit erhebliche öffentliche Interessen in den Blick. Dies komme aufgrund des Grundrechtes der Gleichbehandlung auch dem Antragsteller zugute. Er erfülle die Voraussetzungen des neuen „Chancen-Aufenthaltsrechts“, denn er halte sich seit über fünf Jahren mit einer Duldung in Deutschland auf und seine strafrechtlichen Verurteilungen stünden einem absehbaren Anspruch auf ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Tilgung nicht entgegen. Gleiches gelte für die Ausweisung und das damit verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot. Aufgrund der Tilgung der Straftaten dürften diese dem Antragsteller im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden, so dass das frühere Ausweisungsinteresse weggefallen sei. Der Antragsteller dürfte aus diesem Grund einen Anspruch auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes haben.
Der Beschluss (19 K 3710/22) ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können hiergegen Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegen. (PS)